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Reisetagebuch Frachtschiffreise Hamburg–Lappland–Hamburg, 1. – 17. Juli 2014 

Das hat man nun davon, wenn man nach einem feinen Essen und ein paar Gläsern Wein, der Familie so nebenbei einen fast geheimen Wunsch offenbart. Der wird scheinbar registriert und sie erfüllen dir den Wunsch zu deiner Pension: eine Reise mit einem Frachtschiff. Bei der Destination konnte ich noch so knapp Inputs liefern, bei den Reisedaten war ich ausgeschlossen (so wie man es mit alten Leuten eben macht), ab 1. Juli muss ich mich seebereit in Hamburg bereit halten!

Montag 30. Juni 2014

Bern – Basel – Hamburg

Reisen einmal anders, ohne Wartezeiten und Sicherheitskontrollen am Flughafen. Gemütlich im ICE von Basel nach Hamburg in knapp 8 Stunden. Bei der Ankunft in Hamburg ist bereits die Nordsee zu spüren: eine steife, etwas kühle Brise lässt mich etwas frösteln. Das gebuchte Hotel Condor in Bahnhofsnähe scheint kein Volltreffer zu sein. Die Rezeption ist um 18 Uhr nicht mehr besetzt, der CheckIn muss im Schwesterhotel hundert Meter weiter erledigt werden. Der Lift ist aus Sicherheitsgründen ausser Betrieb; kein Problem, das Zimmer liegt ja nur im 3ten Stock und meine Reisetasche ist nur etwas über 20 kg schwer. Nachdem ich hinter dem Radiator ein Antennenkabel gefunden habe, erscheint auf dem alten Philips-Röhren-TV sogar ein Bild des WM-Spiels Frankreich-Nigeria. Es scheint zu schneien in Brasilien, die Bildqualität erinnert mich an den Beginn des Farbfernsehens in den 70er Jahren. Zimmer und Bad sind einigermassen sauber, wenn grosszügiger weise der unregelmässig gefleckte Teppich ausgeklammert wird. Ein abendlicher Spaziergang durch den Stadtteil St. Georg zeigt, dass hier mehrheitlich stärker pigmentierte Bewohner zu Hause sind. Zwischendurch sind sogar einige Worte Deutsch zu hören. Ich passe mich der multikulturellen Umgebung an und gehe beim Chinesen essen. Das WM-Spiel Deutschland-Algerien sehe ich mir bei einem Türken und einem deutschen Bier auf dem Hansaplatz an.

Dienstag 1. Juli 2014

Hamburg  

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Sonnenschein zum Aufstehen. Nach dem Frühstück erhalte ich einen weiteren Anruf der Reiseagentur Zylmann, dass der Ort der  Einschiffung kurzfristig geändert hat und noch heute gegen Abend und nicht wie geplant am Mittwoch erfolgen soll. Also noch etwas Proviant für die ersten Stunden einkaufen und ein erstes dreistündiges Sightseeing von Hamburg zu Fuss bei stark bewölktem Himmel. Was mir als erstes auffällt, ist ein buntes Gemisch der Gebäude von alt und neu  Dann belohne ich mich mit einer pikanten „Currywurscht“ mit frischen Pommes und einem Weizenbier im Edelcurry. Danach Packen und mentale Vorbereitung auf die nächsten zwei Wochen auf See. Nach 16 Uhr werde ich mich per Taxi zum Containerterminal Altenwerder chauffieren lassen. Etwas aufgeregt bin ich schon – was erwartet mich da auf der MS Robert?

Dienstag 1. Juli 2014

Hamburgich gehe an Bord

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Der Taxifahrer kommt aus Ghana, bedient neben dem Fahren noch 2 Handys, kann einige Sätze Deutsch und hat keinen Plan wo die Einfahrt in das Container Terminal Altenwerde liegt. Vorsorglich habe ich die genaue Adresse gesucht und das Navi scheint sie auch zu kennen. Der Hamburger Hafen und der Lastwagenverkehr dorthin sind gigantisch. Nach ca. 30 Minuten sind wir zwar in der Gegend, aber die zahlreichen neuen Strassen sind noch nicht als Update in das Navi gelangt. Nach dem Studium eines speziellen Taxi-Landkartenbuches werden wir gemeinsam fündig. 35 € weniger, dafür kennt man meinen Namen bei der Eingangskontrolle zum Terminal. Ein Shuttlebus mit einem Fahrer dessen Herkunft ich nicht eruieren kann, bringt mich zur MS Robert. Eine schwere Reisetasche zu tragen habe ich bereits gestern trainiert, nun muss ich sie noch über die schmale und steile Gangway bringen. Ein kleiner Philippino in orangem Overall und einem breiten Grinsen im Gesicht begrüsst mich und nimmt mir erlösend die Tasche ab. Er übergibt mich einem ukrainischen Offizier, welcher den Papierkram erledigt und mir meine Kabine, die Owner-Kabine, zeigt. Super: Wohnzimmer mit Polstergruppe Schreibtisch und TV, eine Schlafkoje und eine Dusche mit Toilette. Kaum fertig mit Auspacken klingelt das Kabinen-Telefon und der philippinische Schiffskoch bittet mich doch zum Nachtessen zu erscheinen. 5 x 12 Stufen vom E-Deck zum Poop-Deck hinunter (diese 60 Stufen werden die nächsten Wochen mein Fitnesstraining sein, mindestens 3 x pro Tag zum Essen und sicher noch einige male mehr). Serviert wird mir gebratener Fisch mit Reis und Salat, dabei lerne ich einen weiteren Ukrainer und zwei Philippinos kennen. Der Kapitän und ein weiterer Offizier seien aus Lettland, die restlichen Mitglieder der total elfköpfigen Crew sind ebenfalls Philippinos. Ich bin also nicht nur der einzige Passagier sondern auch der einzige Westeuropäer. Ich kann mich noch nicht entscheiden, ob ich das ukrainisch-englisch oder das philippino-englisch besser verstehe.

Dienstag 1. Juli 2014

Hamburg – es geht fast los

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Ununterbrochen werden Container ein- und ausgeladen, alles vollautomatisch, ein paar Angestellten sind nur noch zur Überwachung und für Problemlösungen da. Sogar die Containerfahrzeuge fahren führerlos zwischen den Hafenkranen und dem unüberschaubaren Containerlager hin und her. Während ich diese Zeilen um 22 Uhr schreibe, fängt das Schiff an zu vibrieren und zu rütteln, die Maschine wird gestartet. Aber nicht etwa um schon auszulaufen, sondern um zum nächsten Containerterminal zu wechseln. Diese Nacht und morgen werden noch zwei weitere Terminals in Hamburg angesteuert. Die Grösse des Hamburger Hafengeländes kann man nicht beschreiben, man muss es selber sehen.

Mittwoch 2. Juli 2014

Hamburg – beladen und entladen

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Wunderbar ruhig geschlafen die erste Nacht auf dem Schiff. Wir liegen ja aber noch im Hafen, jetzt am Terminal Burchardkai. Hier ist noch mehr menschliche Arbeitskraft gefragt. Die Container werden mit ameisenartigen, hohen Fahrzeugen vom und zum Schiff gebracht, die Krane werden durch einen Kranführer bedient. Ich habe mir die Beladung einiges lärmiger vorgestellt, nur zwischendurch ist das metallisches Rumpeln und Knallen zu hören, wenn ein Container nicht problemlos abgesetzt werden kann. Zum Frühstück sind wir nur zu zweit, alle andern scheinen beschäftigt zu sein oder schlafen noch nach der Nachtschicht. Der Lade- und Entladevorgang dauert bis 18 Uhr. Ich staune, dass irgendwer noch weiss, welcher Container jetzt entladen und welcher wohin verladen werden muss. Vor Mittag läuft neben uns die Thalassa Hellas aus, ein Containerschiff welches die 10fache Ladekapazität der Robert hat. So langsam finde ich die Orientierung auf dem Schiff und gewöhne mich an die frühen Essenszeiten: 7:30/11:30/17:00. Da nicht viel Neues zu erleben ist, gönne ich mir ein Mittagsschläfchen und anschliessend Lesen bei teilweise Sonne auf dem A-Deck, welches durch einige Plaudereien mit der Besatzung unterbrochen wird – ich kann die speziellen Englischvariationen nun schon etwas besser verstehen. Nächste Station Container Terminal Tollerort. Was so toll ist, kann auf den ersten Blick nicht erkannt werden, vielleicht dass der Containerverlad hier zügig abläuft. Die hochbeinigen Containerfahrzeuge schwirren nervös herum wie aufgescheuchte Ameisen.

 Donnerstag 3. Juli 2014

Hamburg – Bremerhaven

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Kurz nach Mitternacht legen wir in Hamburg ab. Leider sehe ich wegen der Dunkelheit von der Fahrt Elbe abwärts kaum etwas und ziehe darum meine Schlafkoje vor. Das spürbare Vibrieren der Maschine wirkt beruhigend und schlaffördernd auf mich. Kurz nach dem Frühstück erreichen wir den Hafen von Bremerhaven (heisst wirklich so). Der Ladevorgang soll erst nach Mittag starten, dafür finden am Morgen einige Inspektionen von Einrichtungen und Geräten statt. Von einem Matrosen erhalte ich den Tipp, dass sich unmittelbar neben dem Hafen eine Seemannsmission befindet, wo es kostenlosen Internetzugang und kühles Bier gibt. Also melde ich mich beim Security-Officer ab und lasse ich mir per Funk einen Shuttlebus kommen, der mich an der Gangway abholt und zu meinem Ziel bringt (zu Fuss im Hafengelände ist ein absolutes NoGo). Die Seemannsmission ist gemütlich eingerichtet, neben den wichtigsten Toilettenutensilien sind auch Bier, Wein, Pringels, Schokolade und natürlich Internetzugang erhältlich. Zwei Stunden später lasse ich mich wieder zurückshuttlen. Früher als geplant d.h. kurz nach 21 Uhr, heisst es Leinen los und wir fahren mit Sonnenuntergangsstimmung wieder zurück Richtung Elbemündung nach Brunsbüttel, wo sich die Einfahrt zum Nordostseekanals befindet.

 Freitag 4. Juli 2014

Nordostseekanal

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Blick aus dem Kabinenfester vor dem Einschlafen kurz nach Mitternacht: in der Ferne sind einige Lichter von Schiffen und Fischkuttern auf der Nordsee zu erkennen. 6 Stunden später ziehen am gleichen Fenster Bäume, Bauernhöfe und schmucke Häuser vorbei – wir fahren im 95 km langen Nordostseekanal. Bereits nach 6 Uhr bin ich im Essraum und mache mir einen Kaffee. Erstens ist es ein wunderbar sonniger Morgen und zweitens möchte ich möglichst viel vom Kanal mitbekommen, den wir schon seit 1 Uhr nachts befahren. Eine wundervolle Stimmung: angenehm warm, eine herrliche Landschaft und sehr ruhig, ausser unserem Schiffsdiesel, der regelmässig und dezent blubbert. Wir fahren mit 12 km/h in einem Konvoi mit 4 andern Schiffen und auf jedem Schiff fährt ein Lotse mit. Das Kreuzen grösserer Schiffe ist nur in den Ausweichstellen möglich, welche sich alle par km befinden. Ich geniesse die abwechslungsreiche Fahrt, Fotosujets sind im Überfluss vorhanden. Am Mittag erreichen wir die Schleuse zur Kieler Bucht. Hier wird auch die Robert mit 4 Paletten Nahrungsmittel und Getränken aufgefüllt. Mein ultimativer Seetüchtigkeitstest findet auch heute in der Ostsee noch nicht statt: herrlich warmes Wetter und ruhige See.

 Freitag 4. Juli 2014

auf der Brücke

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Bei der Fahrt Richtung Osten, vorbei an Dänemark, habe ich Gelegenheit die Brücke unseres Schiffes zu besichtigen. Der ukrainische Offizier, welcher alleine alles unter Kontrolle zu haben scheint, erklärt mir die wichtigsten Instrumente und demonstriert mir live, wie ein Ausweichmanöver wegen eines kleinen, aber vorfahrtsberechtigten Segelschiffes eingeleitet wird. Erstaunlich wie die hunderte von Tonnen Stahl mit einer Art Trackball gesteuert werden und nach der Kurskorrektur werden neben hundert anderen Dingen, augenblicklich, der neu berechnete Abstand und die Zeit bis zum Kreuzen des Seglers im Schiffsinformationssystem angezeigt. Mehrere PC’s mit Windows XP schreien förmlich nach einer Migration auf ein aktuelleres  Betriebssystem. Ich werde eingeladen weitere Besuche auf der Brücke zu machen (hoffentlich erwarten die nicht, dass ich so nebenbei die Migration durchführe).

  Samstag 5. Juli 2014

jenseits von Schweden

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Wunderbar geschlafen bei ruhiger See und wieder herrlicher Sonnenschein. TV Empfang über Satellit möglich, aber alle Sender, die WM-Spiele übertragen würden, dürfen während dieser Zeit wegen Lizenzrechten nicht ihr normales Programm via HotBird senden – herzlichen Dank an Sepp und die FIFA! Die Resultate kann ich verzögert über Teletext lesen oder in News-Sendern hören. Fotomotive beschränken sich nun auf das Schiff und das reichlich vorhandene Wasser. Seit wir am südöstlichsten Punkt von Schweden links Richtung Lappland abgebogen sind, sind nur noch selten andere Seefahrer in Sichtweite. Davor, wo auch die Route zu den baltischen Staaten und Russland verläuft, tauchen sie im 20 Minuten-Takt auf, nun kann es drei oder mehr Stunden dauern bis uns ein Schiff entgegen kommt. Den Morgen verbringe ich gemütlichem mit Lesen auf dem sonnigen Aussenteil des B-Decks. Wind und Wellen sind etwas stärker geworden, es tauchen auch schon weisse Kronen auf einigen  Wellenkämmen auf, also etwa Windstärke 3 bis 4, aber immer noch fast wolkenlos und sonnig warm. Gestern Abend und heute hat die Auslieferung der von der Mannschaft und mir georderten Waren stattgefunden. Hier gelten noch echte Duty-free Preise: 24 Becks Bier 12 €, 1 Flasche Osborne Veterano Brandy 6 € und eine Stange L&M Zigis 9 €.

  Samstag 5. Juli 2014

Maschinenraum

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Am Nachmittag werde ich von meiner Sonnenterrasse vertrieben; Deckschruppen und -abspritzen ist angesagt. In diesem Moment taucht der lettische Chief Engineer für eine Zigarettenpause aus dem Untergrund auf. Ich packe die Gelegenheit und frage ihn, ob und wann ich den Maschinenraums der Robert besichtigen kann. Er scheint sich über meine Bitte zu freuen und sagt spontan, dass wir das gleich jetzt machen werden. Also zwei Stockwerke hinunter – wir sind nun unter der Wasserlinie. Bei einem fast stündigen Rundgang zeigt er mir voller Stolz sein Reich. In lettisch-englisch, welches sogar meist verständlich ist, erklärt er mir ausführlich wie, was, warum und für welchen Zweck welche Anlagen und Maschinen hier vorhanden sind. Was mich beeindruckt ist die absolute Sauberkeit und peinliche Ordnung im ganzen Bereich. Nirgend ist Öl oder Dreck zu erkennen, alles liegt an seinem vorgesehenen Platz. Ich bedanke mich bei ihm und erhalte postwendend die Einladung ihn wieder in einem der nächsten Häfen zu besuchen, um zu erleben, wie der Schweröl-Diesel-9-Zylinder gestartet wird.

  Sonntag 6. Juli 2014

heute Barbecue - Essen und Fitness

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Eigentlich könnte ich heute schreiben wie unendlich viel Wasser und blauen Himmel ich ringsherum sehe oder wie wenig Schiffe uns begegnen, aber das interessiert sicher niemanden. Dafür einige Worte zum Essen auf der Robert. Unser Cookie hat alles im Griff. Seine Menüs sind sehr gut, schmackhaft und abwechslungsreich. Die Zusammenstellung ist wie die Mannschaft ziemlich multikulti. Morgenessen immer etwas mit Eiern und teilweise schon rohes Gemüse, Lunch meist mit Suppe, Fleisch oder Fisch, Salat und Beilagen oft auch ein Dessert, Diner eher einfach, mal mit einer Wurst mal mit Fried Rice. Für seine 5 Landesgenossen kocht er speziell philippinische Gerichte, d.h. 3x pro Tag Reis und noch etwas Gemüse oder anderes dazu. Im Hinterkopf hatte ich die Idee, dass ich auf dieser Reise einige Kilo an Gewicht verlieren könnte – mit diesem kulinarischen Angebot scheint mir aber, dass die Idee kaum umsetzbar ist. Heute ist ein spezieller Tag - Barbecue auf dem A-Deck. Ein Tisch wird aus Palletten zusammen geschraubt, der Grill wird aus irgendeiner Luke hervorgeholt, Holzkohle und Lötlampe zum Anzünden stehen bereit. Um 17 Uhr geht’s los, ich spende mein Multipack-Becks Bier, der Grillrost ist voll mit Fleisch. Zum ersten Mal esse ich Teigwaren philippinische Art: süss, mit Kondensmilch, Ananas und getrockneten Weinbeeren – gar nicht schlecht. Zuckerschock beim Dessert, was aussieht wie ein Orangen-Omelett ist satanisch süss. Die Osteuropäer sind alle etwas introvertiert und kurz angebunden, mit den Philippinos trinke ich noch ein, zwei Bier. Nach 15 Minuten Phillipino-Karaoke bedanke ich mich für das feine Barbecue und ziehe mich zurück.


Am 1. Juli habe ich über die 5 Etagen, bzw. 60 Stufen geschrieben, die ich mindesten 3 x täglich zwischen E- und Poop-Deck bewältigen würde. Das war masslos untertrieben: es sind 8- bis 10-mal pro Tag, d.h. 600 Stufen hinab und 600 Stufen hinauf  – das ist doch auch etwas.

  Montag 7. Juli 2014

Oulu, Finnland

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Gegen 9 Uhr legen wir im Hafen von Oulu an. Alles ruhiger und kleiner als in Deutschland, die Finnen scheinen Zeit zu haben. Im Hafen hat es Platz für nur 4 Schiffe, Personal und Fahrzeuge sind kaum zu sehen. Da ich die Stadt ansehen will, rüstet mich unser Kapitän mit einer Leuchtweste aus und ordert ein Taxi, welches mich 15 Minuten später an der Gangway abholt. Bis in das Zentrum sind es etwa 5 km. Ich erkundige mich bei der Taxichauffeurin nach einem Kaffee oder Restaurant mit Internetzugang. Sie kennt keines, erkundigt sich aber per Handy und bringt mich zu der Fussgängerzone, wo das Kaffee liegt. Der Kaffee ist dünn, die Internetverbindung langsam, aber ich habe ja Zeit. Am Nachmittag spaziere ich durch die Stadt. Nichts Besonderes für eine Stadt mit angeblich 200‘000 Einwohnern. Gemütlich ist es rund um die alte Markthalle nahe am Wasser. Auch auf dem Platz davor herrscht Marktstimmung und hier stehen auch einige alte Holzhäuser, welche grösstenteils als Restaurants oder Verkaufsläden genutzt werden. Die kleineren Früchte, wie Erdbeeren oder Himbeeren werden nicht per Kg, sondern per Liter verkauft – andere Länder – andere Sitten. Ich versuche einen Teller frisch und ganz gebratene, kleine Makrelen. Etwas fettig aber gar nicht so schlecht. Ein Angebot für eine zweistündige Schiffstour der Küste entlang, lehne ich dankend und lächelnd ab. Dafür sage ich zu einem lokalen Bier nicht nein. Hoppla, 6 € 50, aber wir sind ja hier ins Skandinavien. Rechtzeitig zum Abendessen lasse ich mich wieder zum Hafen chauffieren. Also viele Container wurden noch nicht ausgeladen, es sieht so aus, dass wir den ganzen nächsten Tag noch im sonnigen, 28 Grad warmen Oulu bleiben werden.

  Dienstag 8. Juli 2014

Oulu - Raahe

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Ruhige Nacht, es werden keine Container verladen. Apropos Nacht: die gibt es hier im Moment gar nicht. Sonnenuntergang 23 Uhr, -Aufgang 01 Uhr, dunkel wird es nicht, höchstens etwas dämmerig. Die Finnen packen den Containerverlad mit kühlem, nordischem Enthusiasmus an. Erst so gegen 8 Uhr erscheinen die in stabilo-boss-gelb bewesteten und behelmten Hafenarbeiter am Kai. Für mich ist heute Waschtag: im ersten Unterdeck stehen zwei Waschmaschinen und zwei Trockner, eine 15 kg Trommel Waschpulver und 5 l Weichspüler. Je nach Maschine sind die Bedienungsbeschriftungen deutsch, englisch oder holländisch. Ich wähle die Kombination englisch dann deutsch; nach zwei Stunden sind meine Kleider wieder trocken, duften ziemlich frisch und die Farben haben sich auch nicht verändert. Auch die Finnen sind erfolgreich; um 13 Uhr ist der Be- und Entladevorgang fertig und wir laufen aus. Nach ca. 4 Stunden erreichen wir Raahe. Auf den ersten Blick unlogisch, dass wir nach Süden gefahren sind, liegen doch die beiden nächsten Häfen weiter nördlich. Aber hier in Raahe wird ein grosser Teil der Container ausgeladen. Das Schiff ist dann einige hundert Tonnen leichter und verbraucht für die Fahrt nach Kemi und Tornio und zurück weniger Treibstoff und das macht sich anscheinend bezahlt. Von unserem Liegeplatz aus ist die Seemannsmission von Raahe in Sichtweite. Leuchtweste und Laptop packen, dann gibt’s ein kühles Bier (um 20 Uhr ist es immer noch 25 Grad warm!) und Internetzugang.

  Mittwoch 9. Juli 2014

Raahe - Tornio

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So gemütlich wie das sonnige und warme Wetter ist, geht auch der Entladevorgang vor sich. Ein einziger, nostalgischer Kran mit lautem und rauchendem Dieselmotor steht im Einsatz. Dazu ist er pannenbedingt, ziemlich unbeweglich. Beim Wechsel des Ladeortes muss das Schiff mit den Seilwinden der Taue zentimeterweise bewegt werden. Da die TV SAT-Anlage des Schiffes zurzeit nicht verfügbar ist und die Seemannsmission erst um 18 Uhr geöffnet wird, konfiguriere ich mein Smartphone für das Internet, damit ich über das Brasilien-Debakel von gestern Abend mehr erfahre. Uuuups, mein Guthaben von über 40 Franken ist mit der Prepaid-SIM-Karte von Sunrise in weniger als 15 Minuten aufgebraucht – wie ist das möglich? Vielleicht weil ich im Land von Nokia mit einem Samsung online bin? Um 21 Uhr fahren wir Richtung Tornio ab, dem nördlichsten Punkt dieser Reise. Das ist dort, wo die Grenze zu Schweden ist, das baltische Meer aufhört und Lappland beginnt.

  Donnerstag 10. Juli 2014

Tornio - Kemi

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Irgendwann zwischen 2 und 6 Uhr früh müssen wir in Tornio angelegt haben. Ich schlafe so herrlich in meiner Koje, dass ich davon nichts mitbekomme. Hier geht es am Morgen wieder geschäftiger zu, mehrere Schiffe werden gleichzeitig abgefertigt und unser Ladekran arbeitet auch wieder flotter als gestern. Am Morgen weht ein kühler Wind, bei uns würde man von Biese sprechen, wie ihn die Lappen bezeichnen ist mir nicht bekannt, aber immer noch Sonnenschein pur. Seit langer Zeit sind wieder Pulli und lange Hosen angesagt. Rentiere und den Weihnachtsmann, der angeblich von hier kommen soll, sind nicht zu sehen. Ich gönne mir nach dem Frühstück und einer Stunde Lesen nochmals ein Stündchen Schlaf. Nach dem Mittag lässt der Wind nach, „sünnele“ mit Musik in den Ohren und Lesen sind Programm. Am frühen Abend ist unser Robert abgefertigt und der nächste Hafen in Kemi wird angelaufen, welcher nur eine knappe Schiffsstunde entfernt liegt. Warum in so kurzer Distanz zwei Häfen betrieben werden, kann mir von der Besatzung niemand sagen, das wissen scheinbar nur die Finnen. Als wir ankommen wird unser Schiff zwar noch angebunden, aber dann ist hier Feierabend. In der Seemannsmission werden neben den übrigen Souvenirs auch bunte Lappenkappen und original finnische Jagmesser angeboten. Da die Zeit für eine Rentierjagd aber doch zu knapp und das Wetter mild ist, verzichte ich auf einen Kauf.

  Freitag 11. Juli 2014

Kemi – Beginn der Rückfahrt

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Unglaublich, wieder ein sonniger Morgen mit blauem, wolkenlosen Himmel. Ich bin verblüfft, dass eine so lange Schönwetterperiode im hohen Norden überhaupt möglich ist. Nach dem Studium des Werbeprospektes vom Touristikverein Kemi, den ich gestern in der Seemannsmission mitgenommen habe, verzichte ich auf einen Landgang und die Taxifahrt in die 8 km entfernte Stadt. Ausser einer historischen Kirche, einigen alten Holzhäusern einem Museum und einem Restaurant am Strand, kann ich darin nichts finden, was den Ausflug als unverzichtbar erscheinen lässt. Also schaue ich den Hafenleuten etwas bei der Arbeit zu, sehe mir zwei Filme am Notebook an und verschlinge weiter spannende Krimis und Agententhriller bei herrlichem Sonnenschein, leichtem Wind und kühlem Bier. Um 20 Uhr heisst es Leinen los, die viertägige Rückfahrt nach Hamburg beginnt.

  Samstag 12. Juli 2014

auf See – im Nebel

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Irgendetwas ist anders, als ich kurz nach 7 Uhr aufwache. Kein Sonnenstrahl scheint durch eines der vier Kabinenfenster. Wir fahren in stockdickem Nebel, die Sichtweite beträgt nur bis zum Bug, das heisst ca. 100 Meter. Augenblicklich tauchen in meinem Kopf Bilder von der Titanic oder andern Schiffskatastrophen- oder Seeräuberfilmen auf – beruhigender Weise gibt es zu dieser Jahreszeit keine Eisberge und die letzten Piraten in dieser Gegend waren, so glaube ich, die Wikinger. Ich kann nur hoffen, dass unsere ukrainischen und lettischen Offiziere, die das Schiff führen, während ihrer Ausbildung im Fach Radarkunde besonders gut aufgepasst haben. Nach zwanzig Minuten ist der Spuk vorbei, klare Sicht und Sonnenschein. Doch nur für eine knappe Stunde, dann tauchen wir in die nächste Nebelbank ein. Ein kühler Ostwind lässt das Wasser in der feuchten Luft, welche sich in den vergangenen heissen Tagen gebildet hat, direkt über der Wasseroberfläche kondensieren. Nach dem Mittag sind keine Nebelschwaden mehr sichtbar, dafür sehe ich seit mehr als einer Woche wieder einen bewölkten Himmel. Die Temperatur beträgt aber immer noch angenehme 22 Grad.

  Sonntag 13. Juli 2014

auf rauer See

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Um 4 Uhr werde ich wach, als ich gegen die Wände meiner Schlafkoje gedrückt werde. Ein Blick durch das Fenster zeigt trübes Wetter und raue aber nicht stürmische See. Das Schiff schaukelt merklich und regelmässig links-rechts-links…und das ist im fünften Stock des Turmes verstärkt spürbar. Jetzt ist mir klar, warum ich einmal die stabile Seitenlage im Nothelferkurs lernen musste: sie hilft mir in der Mitte des Bettes zu verbleiben und ich schlafe wieder friedlich ein. Seekrankheit scheint nicht aufzukommen, im Gegenteil, ich geniesse zwei Spiegeleier mit Speck zum Frühstück. Gegen 9 Uhr wird die Bewölkung durch Wind und die durchbrechende Sonne aufgelöst, das Schaukeln bleibt, bzw. wird noch etwas stärker. Beim Duschen habe ich mindestens eine Hand zu wenig, weil eine davon immer einen der Hangriffe umklammern muss, damit ich nicht unfreiwillig aus der Duschwanne befördert werde. Am Nachmittag durchfahren wir eine Regenfront, die gemäss Wetterkarte durch die Mitte von Skandinavien zieht.

  Montag 14. Juli 2014

auf  See, Kieler Bucht

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Die Zeilen für den Morgen sind schnell geschrieben: nass und grau. Wasser unten, Wasser von oben und Wasser von der Seite, durch heftigen Wind. Die Wellenhöhe beträgt gut 1,5 m, das Schiff schaukelt aber nicht mehr so heftig, da wir direkt gegen die Wellen fahren. Ein ausgiebiges Mittagschläfchen ist fast Pflicht. Erst gegen Abend, als wir Kiel erreichen, zeigt sich die Sonne wieder. In der Kieler Bucht herrscht erhöhtes Verkehrsaufkommen. Um 21 Uhr passieren wir die Schleuse und fahren während der Nacht durch den Nordostseekanal.

  Dienstag 15. Juli 2014

die letzten Seemeilen mit der Robert - Elbe aufwärts

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Als ich um 6 Uhr erwache sind wir bereits in der Schleuse von Brunsbüttel, am Ende des Nordostseekanals. Also schnell aufstehen, in der Küche ein Kaffee holen (Rezept: 1,5 TL Nescafé Crema, 1,5 TL Zucker, 1.5 dl kochendes Wasser und etwas Kondensmilch aus der Dose) und auf das Aussendeck um die letzten 50 Seemeilen auf der Robert Elbe aufwärts zu geniessen. Leichter Nebel, die Sonne ist aber anwesend. Am Elbeufer sind neben grünen Auelandschaften auch viele Industrieanlagen vorhanden. Das Wasser hat eher eine braune, als eine blaue oder grüne Farbe. Ich lasse mich dadurch nicht stören, sitze in der Sonne, spüre und höre die Maschine und gehe zwischendurch schnell zum Frühstück. Bei Blankenese tauchen die alten und neuen Herrschaftshäuser und Villen der gutbetuchten Hamburger auf. Schon von weitem ist die Armee der Hafenkranen von Hamburg im Dunst erkennbar. Hier hat meine Reise mit dem Container-Frachtschiff Robert begonnen – hier ist sie zu ende. Koffer packen, dem Kapitän und der Besatzung für die Gastfreundschaft danken und bye-bye sagen.

  Mi & Do 15./16. Juli 2014

Hamburg

Fotos 1 - Fotos 2

Da die Fahrpläne der Frachtschiffe immer mit +/- 1 Tag interpretiert werden müssen, habe ich meine Rückreise erst für Freitag gebucht. Das heisst, ich kann mich für 2 ½ Tage von Hamburg verunsichern lassen. Die erste Unsicherheit überkommt mich schon am Dienstagnachmittag als ich mit der U-Bahn fahre: warum um Himmels Willen sind die U-Bahn-Züge mit „Hochbahn“ angeschrieben? Ich hoffe, dass ich in den nächsten zwei Tagen nicht weiter vor solche grundlegenden Probleme gestellt werde. So oder so, ich werde auf jeden Fall bis Donnerstag noch einige Bilder von Hamburg in meinem online-Fotoalbum einkleben

 

Résumé

Das war wirklich unvergesslich, ob es einmalig war wird sich zeigen. Ich habe mich nach zwei bis drei Tagen als Mitglied der Mannschaft gefühlt, habe zwar nicht gearbeitet, aber trotzdem dreckige Hände und Hosen bekommen. Vermutlich werde ich es ein wenig vermissen, dass alles was man anfasst, wie z.B. Reling oder Treppen-Handläufe, immer leicht salzig und/oder ölig ist. Ich habe neue Englischdialekte kennen- und teilweise auch zu verstehen gelernt, Einblicke in mir bisher unbekannte Berufe und Logistikgebiete erhalten, gut und zu viel gegessen, genug und gut geschlafen, Zeit gehabt meiner momentanen und zukünftigen Situation bewusst zu werden und sie auch zu geniessen. Es hat mich aber auch an meine militärische „Karriere“ erinnert; wann musste ich mich zuletzt beim „Watch Officer“ ab- und anmelden wenn ich an Land gehe? Entspannend, beruhigend und eindrücklich war es allemal. Wer einmal ganz hinunterfahren will, dem kann ich eine Reise mit einem Frachtschiff uneingeschränkt empfehlen, wenn er nicht zu viele Ansprüche an Luxus hat. Es wird einem  nicht  Alles auf dem Tablett serviert: wenn Du etwas wissen,  machen oder erreichen willst, muss Du selbst die Initiative ergreifen. Einen sehr positiven Aspekt hatte natürlich auch die phantastische schöne Wetterlage, welche uns fast die ganze Reise begleitet hat. Bei zwei Wochen Regen und Sturm würde meine Bilanz vermutlich anders ausfallen.

Besonders erstaunt haben mich drei Dinge:

1) die Mannschaft und damit auch die Rangordnungen und Aufgaben waren auf zwei Gruppen mit völlig verschiedenem ethnischem Hintergrund verteilt. Ich konnte deswegen nie irgendwelche Spannungen feststellen.

2) Die Arbeit wurde, soweit ich das überhaupt beurteilen kann, sehr seriös gemacht, Vorschriften und Kontrollen sehr pflichtbewusst eingehalten. Ich hatte nie den Eindruck, dass ein „das sieht ja hier auf dem Meer sowieso keiner“ ausgenutzt wurde. Die Mannschaft scheint gut geschult zu sein.

3) Alkohol wurde wenig konsumiert, mit einer Ausnahme: ich weiss nicht, wer von der Crew ein leeres 6er-Karton „Wodka Jelzin“ im Abfallkübel entsorgt hat.